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Elfering, Raimund (2004): Die "Bejlis-Affäre" im Spiegel der liberalen russischen Tageszeitung "Reč". Das Forschungsportal zu Ost-, Ostmittel- und Südosteuropa (http://www.osmikon.de)
Digitale Osteuropa-Bibliothek: Reihe Geschichte, Band 7
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Abstract

Am 20. März 1911 wurde in Kiew, auf dem Gelände einer Ziegelei in jüdischem Besitz, die Leiche des 12-jährigen Andrej Jučinskij gefunden, der einige Tage zuvor spurlos verschwunden war. Schnell verbreiteten sich Gerüchte, forciert von den örtlichen Schwarzhundertervereinigungen, Juden hätten einen Ritualmord an dem Jungen begangen. Die Ermittlungen wurden immer mehr auf einen Ritualmord hin fokussiert, nachdem die Mörder zunächst in der Verwandtschaft des Jungen und im Kreis einer kriminellen Bande um Vera Čeberjak gesucht worden waren. Vier Monate nach dem Leichenfund wurde der Jude Mendel Bejlis, Angestellter der besagten Ziegelei, verhaftet, und der Fall Jučinskij wurde zum Fall Bejlis. Gegen Bejlis lag ganz offensichtlich nichts vor – Indizien wurden konstruiert und Anfang 1912 schließlich eine Anklageschrift aufgestellt.

Das Besondere am Fall Bejlis ist das enorme Aufsehen, das er in der russischen Öffentlichkeit, zunehmend aber auch in Europa und Amerika, erregte. Nach der Revolution von 1905 hatte sich in Russland ein äußerst lebendiges Pressewesen entwickelt. In den Zeitungen fanden, stärker als in der wenig einflussreichen Staatsduma, heftige Wortgefechte statt – vor allem zwischen dem konservativen Lager, das die uneingeschränkte Autokratie des Zaren wiederherstellen, und dem liberalen, westlich orientierten Lager, das die Reformen des Revolutionsjahres 1905 weiterführen wollte. Dem Antisemitismus kam in diesem Kampf eine Schlüsselrolle zu, da die Juden als Speerspitze der Moderne gesehen wurden. Kein früherer Ritualmordprozess hat einen solchen Widerhall in der Presse gefunden.

Angesichts der Bedeutung der Presse in den Zeiten der entstehenden Massenkommunikation stellt sich die Frage, welche Rolle die Presse selbst in diesem Fall gespielt hat. Aus diesem Grund ist die Behandlung des Falls Bejlis in der russischen Presse Gegenstand dieser Arbeit. Als Grundlage wurde die liberale Tageszeitung "Reč" gewählt. Sie verfolgt einen gewissen Anspruch an Objekti­vität, so dass auch Auszüge aus und Informationen über die gegnerische Presse verwertbar sind. Informationen über die liberale Presse aus reaktionären Organen würden diesen Ansprüchen nicht genügen. Innerhalb der liberalen Presse hatte die "Reč" eine Führungsrolle inne, zum einen, da sie als Sprachrohr der bedeutend­sten liberalen Oppositionspartei, der Konstitutionellen Demokraten, galt, zum anderen wegen der großen Resonanz, die sie in der russischen Presse fand. Diese Arbeit wurde als Magisterarbeit an der Philosophischen Fakultät der Universität Münster angenommen.

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