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Der Traum vom besseren Leben > Hanne Weskott

Noch gibt es Weltregionen, in denen die westliche Zivilisation nahezu unbekannt ist. Aber durch die weltweite Vernetzung und die elektronischen Medien werden es immer weniger. Die Errungenschaften der industrialisierten Welt dringen mit Hilfe der globalen Kommunikation ständig weiter vor. So entspringt der Traum von einem besseren Leben gerade im asiatischen Raum vielfach der Sehnsucht nach einem leichteren Leben und unterliegt den Einflüsterungen der Werbung.
China ist das Land der Zukunft, was den Weltmarkt anbelangt. Von hier und aus ganz Asien kommen nicht nur die Billigprodukte der Discounter, sondern auch Haushaltwaren, Handys, Computer und vieles mehr bis hin zu Luxusgütern. An den Montagebändern sitzen Arbeiter und Arbeiterinnen, die sich das, was sie herstellen, meist nicht leisten können. Aber die Chinesen haben Ventile für ihre Sehnsüchte gefunden. Da sind einmal die vielen Markenplagiate, die es auch den Nicht-Reichen erlauben, Gucci, Armani oder Ray Ban zu tragen, und zum zweiten gibt es Papiernachbildungen von Gütern jeder Art, Joss Papers genannt.
Hochherrschaftliche Villen samt Dienerschaft, Wachpersonal und Besitzurkunden, Autos der Marke Mercedes, Mikrowellengeräte, Motorräder, Handtaschen, Trollys, Regenschirme, Baseballkappen, Play-Stations, Schuhe, Uhren, Schulsachen, Camcorder – ja sogar Hunde, Gitarren, Schweinshaxen und Laptops, auf deren Bildschirmen Alpenlandschaften erscheinen, alles wird als dreidimensionaler Nachbau aus Papier per Internetkatalog angeboten. Blättert man darin, glaubt man sich in einer herrlichen Spielzeugwelt. Aber Joss Papers sind nicht zum Spielen gedacht, sondern zum Verbrennen. Sie sind Gaben für Verstorbene und werden am Ende einer langen Begräbniszeremonie verbrannt. Durch das Feuer nehmen die Gegenstände einen anderen Aggregatszustand an und werden so jenseitskompatibel. Erst auf diese Weise können sie dem/der Verstorbenen in der Welt der Toten dienen.

Ursprünglich war es in China bei traditionellen Begräbnissen Brauch, Gold- oder Silberpapiere zu verbrennen, um die Geister milde zu stimmen. Das macht man auch heute noch in den Tempeln vor einem wichtigen Ereignis oder an Neujahr. Als dann christliche Missionare ins Land kamen und den Chinesen etwas von Himmel und Hölle erzählten, Begriffe, die in ihrem Denken gar nicht existierten, wurden aus den Gold- und Silberpapieren richtige Banknoten, Hell- oder Heaven Bank Notes genannt. So kommt auch das Wort Joss Paper aus der Begegnung der Chinesen mit der christlichen Welt. Nach Webster’s Unabridged Dictionary ist es ein pidgin word, dem das lateinische und portugiesische Wort Deus zugrunde liegt, eigentlich eine Verballhornung, die sich durch schlechte Aussprache immer weiter abgeschliffen und verändert hat. Zu diesem europäischen Wortstamm passt dann auch die Tatsache, dass die Joss Papers fast ausschließlich Waren der westlichen Welt darstellen. Von buddhistischen Mönchen werden sie übrigens abgelehnt und als Aberglaube bekämpft.
Für Karina Smigla-Bobinski ist ihre Inszenierung der Joss Papers Ausdruck dafür, den Austausch zwischen den Kulturen als Kreislauf zu gestalten. Für „Joss” hat sie die Papierimitate westlicher Produkte aus China in den Westen reimportiert und wird diese in einer heidnischen und einer symbolischen Parallelhandlung zu chinesischen Bräuchen verbrennen.

Im ersten Akt ihrer Kunst-Inszenierung (am 7.5.) präsentiert sie die Welt der Joss Papers hinter einer schwarzen Bühnenwand, vor der die Diskussionsteilnehmer sitzen. Durch einen Schlitz in der Wand wird die Glitzerwelt der Joss Papers sichtbar. Wer sie genauer sehen will, muss hinter die Bühnenwand treten, was möglich und erwünscht ist. Gleichzeitig sind drei unterschiedlich große, durchsichtige Luftballons installiert, in denen einzelne Joss Papers befestigt sind. Sie sind Spielzeug, aber auch ein Hinweis auf die große Verletzlichkeit der globalen Wirtschaft – oder, schärfer ausgedrückt, symbolisieren sie den Seifenblasencharakter globaler Finanztransaktionen, der sich 2009 deutlich gezeigt hat. In einem zweiten Akt (am 25.6.) sollen die Joss Papers draußen dem Feuer übergeben werden. Allerdings werden keine Gold- und Silberpapiere verbrannt. Diese original chinesischen Geisterbeschwörungsmittel sind für Karina Smigla-Bobinski Tabu. Es geht ihr nur um den Re-Import westlicher Konsumwaren. Das Feuer soll hier eine Art Katharsis, eine Reinigung, bewirken.




© Hanne Weskott