Bischof, Norbert; Scheerer, Ernst
(1970):
Systemanalyse der optisch-vestibulären Interaktion bei der Wahrnehmung der Vertikalen.
In: Psychologische Rundschau, Vol. 34, No. 2: pp. 99-181
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Abstract
Am Problem der zentralnervSsen Verarbeitung vestibul~trer
and optiseher Daten bei der Wahrnehmung der Vertikalrichtung wurde eine fiir
wahrnehmungspsyehologische Untersuchungen geeignete Methodik kybernetiseher
Systemanalyse entwickelt.
Drei Versuehspersonen hatten die Aufgabe, bei versehiedenen KSrperschriiglagen
eine Leuchtlinie vor dem Hintergrund eines langsam frontparallel um die
Blickaehse rotierenden Streifenfeldes fortlaufend ansehaulieh vertikal einzustellen.
Aus den Versuehsergebnissen wurde in kontrollierten Schritten unter ausffihrlicher
Diskussion aller verwendeten Pri~missen ein Modell in Form eines Blocksehaltbildes
entwickelt. Das Modell lggt sich im wesentliehen durch folgende tIypothesen
eharakterisieren:
1. Die (approximative) Riehtungskonstanz des Wahrnehmungsraumes bei
Kopfschr~iglage beruht auf einer orthogonalen Drehtransformation der phi~nomenMen
Raumkoordinaten gegensinnig zur Kopfneigung (,,Kompensationstheorem").
2. Die kompensatorisehe Drehtransformation wird unter unseren Versuehsbedingungen
im wesentliehen vom Yestibularapparat und vom Visuellen System
kontrolliert.
3. Das vestibul~re System ist ffir sich allein imstande, die Drehtransformation
zu steuern; zusgtzliehe visuelle Einfliisse iiberlagern sieh dieser Aktivitiit additiv
(,,Superpositionshypothese").
4. Diese visuellen Einfliisse sind eine Funktion der figuralen Hauptaehsen des
optisehen Panoramas; unter unseren Versuchsbedingungen (gleiehmS~gig rotierendes
Streifenfeld) ist ihr zeittieher Verlauf demnach periodisch oszillierend.
5. In die oszillatorische Komponente geht auger dem visuellen jedoeh auch
noch ein vestibul/irer Anteil ein (,,Optiseh-vestibuli~re Verh~iltniszahl"), und zwar
multiplikativ (,,Multiplikationshypothese"). Dieser Anteil ist der sog. Augenrollung
proportional.
6. Die Drehbewegung des Streifenfeldes verursacht ein ,,Nachhinken", abet
keine nennenswerte Ferzerrung der Versuchsergebnisse, verglichen mit der Versuehsdurchfiihrung
im stationiiren Fall (,,Verschiebungshypothese").
7. Die visuelle Kontrolle der Transformation der ph~nomenalen Raumkoordinaten
erfolgt auf dem Wege einer zentralnerv6sen t~egelkreisschaltung (Hypothese
der ,,Riickw~r tskompensation").
Dieses Modell wurde auf versehiedenen Wegen validiert; unter anderem erwies
es sich als in der Lage, die Versuchsergebnisse in den wesentlichen Anteilen zu
reproduzieren.