Abstract
Die Erforschung der Antarktis galt um 1900 als eine der letzten großen Herausforderungen im Zuge der Erschließung der Welt. Viele Nationen beteiligten sich daran, darunter das deutsche Kaiserreich. So fanden im Jahrzehnt vor dem Ersten Weltkrieg auch zwei deutsche Antarktisexpeditionen statt: von 1901 bis 1903 unter der Leitung von Erich von Drygalski und in den Jahren 1911/12 unter der Leitung Wilhelm Filchners. Die Forschung hat das Verhältnis zwischen den Unternehmen der verschiedenen Nationen bislang oftmals mit einem Fokus entweder auf Wettbewerb oder Zusammenarbeit beschrieben. Dieser Aufsatz zeigt, dass internationale Kooperation und Konkurrenz die deutsche Antarktisexploration in spannungsreicher Gleichzeitigkeit prägten. Dabei nutzten die Akteure von Beginn an beide Interaktionsmodi als argumentative Ressourcen und verfolgten bewusst und situativ variabel Handlungsoptionen nach sowohl kompetitiven als auch kooperativen Logiken. Die Akteure bemühten sich darum, keinen der beiden Modi überwiegen zu lassen, sondern ein Gleichgewicht zu wahren, um die sowohl aus Wettbewerb als auch aus Zusammenarbeit entstehenden Vorteile für sich nutzen zu können. Gerade die genauen Kriterien der Konkurrenz wurden dabei zum Teil in der Schwebe gehalten, um sich hier alle Möglichkeiten offen zu halten. Bei der retrospektiven Bewertung ihrer Expeditionen durch die deutsche Öffentlichkeit gelang es ihnen jedoch nicht, die Deutungshoheit über Erfolg und Misserfolg der Unternehmen zu gewinnen: Weder der Verweis auf erfolgreiche Kooperationen, noch auf den Sieg im Wettbewerb um wissenschaftliche Leistungen konnte in der öffentlichen Wahrnehmung im deutschen Kaiserreich die Niederlage beim Erreichen möglichst südlicher Breiten ausgleichen.
Abstract
Around 1900, one of the last major challenges in the exploration of the Earth was to map the largely untouched continent of Antarctica. Many nations participated in this endeavour, including the German Empire, which launched two expeditions before World War One: Erich von Drygalski led the first German expedition to Antarctica between 1901 and 1903 and Wilhelm Filchner led the second in 1911 through 1912. Recent literature has, for the most part, described the relationship between the expeditions of the different nations as having been focused on either cooperation or rivalry. This paper argues, however, that a strained simultaneity of international cooperation and rivalry characterized the German Antarctic expeditions. From the outset of their expeditions, the historical actors employed both modes of interaction. In their rhetoric, they referred to them as argumentative resources, and they chose their course of action following the logic of cooperation or competition, depending on the particular circumstances. The actors took pains, however, to keep a balance between the two modes of interaction in order to be able to benefit from advantages arising both from competition and cooperation. They also ensured that the rules of competition were loosely enough defined to allow them some leeway. When it came to a retrospective evaluation of the expeditions by the German public, it became clear, though, that their strategy had not been successful: neither the actors’ praise for the cooperation between nations, nor the emphasis they placed on their scientific achievements was able to change the public’s perception in imperial Germany that these two expeditions had been failures in the struggle to reach latitudes as southern as possible.
Dokumententyp: | Zeitschriftenartikel |
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Fakultät: | Geschichts- und Kunstwissenschaften > Historisches Seminar > Wissenschaftsgeschichte |
Themengebiete: | 900 Geschichte und Geografie > 900 Geschichte |
ISSN: | 1420-9144 |
Sprache: | Deutsch |
Dokumenten ID: | 71111 |
Datum der Veröffentlichung auf Open Access LMU: | 12. Mrz. 2020, 16:58 |
Letzte Änderungen: | 04. Nov. 2020, 13:52 |